Im Alten Kloster Bad Saulgau spielen Künstler mit der Realität

2022-07-01 20:38:18 By : Ms. Cindy Zhuang

Seit vorletzten Freitag gibt es in der Galerie Fähre in Bad Saulgau eine neue Ausstellung. Unter dem weiten Thema „Spielarten des Realismus“ zeigen eine Malerin und vier Maler sowie eine Plastikerin, die fast alle zum ersten Mal hier sind, ihre Arbeiten. Es ist eine persönlich zu nennende Schau, eine „völlig subjektive Auswahl von Künstlern“ die er schätze, erklärte Galerieleiter und Kurator Andreas Ruess.

In seinen Werken liegt eine hintergründige und doppeldeutige Ironie in den oft französischen Titeln der Gemälde. Er malt Aquarelle, im größeren Format sowohl in Öl als auch Acryl auf Leinwand oder Bütten; seine Palette ist pastellig, oft auf gedämpften Kontrasten aufgebaut, manchmal sind trompe l’oeil-Effekte wie ein doppelt gemalter Rahmen eingefügt. Zu diesem distanzierten Ton passen die Motive: Da führt ein dicklicher Bauer sein Schwein in Panzersperren spazieren, eine „Segnende Hand“ schiebt sich durch eine Himmelsjalousie und zeigt auf drei hoppelnde Hasen im Wiesengrund, „La grande Réserve“ (dt. Naturreservat) zeigt eine Waldlichtung mit Flugzeugen im Kleinformat. Auf dem kleinen Ölbild von 1998 „Décidé ou pas décidé?“ (dt. entschieden oder nicht?) der frühesten Arbeit der Ausstellung, küssen sich die seltsamsten Paare: Eine Katze schleckt einen Hund ab, ein Irokese eine Lady, ein Landser einen Matrosen. Erzählungen sind das alles nicht, eher mutet manches wie eine Fabel an, deren Inhalt subjektiv auslegbar ist und die ein leicht sardonisches Lächeln begleitet.

Der Künstler entfaltet seine halb-dunklen Interieurs mit überlebensgroßen Figuren – es sind vertraute Menschen seiner nächsten Umgebung, sagt er im Gespräch – in einem größeren Gesamtzusammenhang wie etwa einem Fensterausblick. Manche Details eines ungeordneten Alltags wie ein Wäscheständer inspirieren ihn zu mehreren Varianten, einer ist mit passenden Sockenpaaren bestückt. Faszinierend sind die Riesenformate in Öl auf Leinwand durch die natürliche Unmittelbarkeit der Präsenz von Menschen in ihrem Zuhause: im Bad, vor dem Notebook hockend, auf dem Bett liegend, sich ankleidend. So ganz ohne Pose, ohne Blickkontakt, in eine Tätigkeit versunken, ohne Sentimentalität, ohne Überhöhung, ohne farbliche Überspannung. Also ganz und gar keine Leipziger Schule; Nicolas Schützinger, hier der Jüngste im Bunde, lebt und arbeitet in Berlin.

Hier zieht es in eine Welt des Surrealen, das Hahn in hypertaktiler Präzision in Acryl auf Leinwand ausmalt. Ein Krake windet sich um einen Schirmständer, vor einem mit Folie umkleideten „Golden Tree“ liegen zwei exotische Vögel tot auf dem Boden, drei sitzen noch auf dieser Un-Natur. Im Gemälde „Paradies“, einer Blumentapete, hocken drei Blaumeisen in schwarzen Löchern – ein wiederkehrendes Motiv – und starren in das dunkle Nichts. Die faszinierende Malweise erinnert an Naturdarstellungen des 18. Jahrhunderts und spiegelt uns gleichzeitig, wie Tiere in unserer Welt zur puren Dekoration verkommen.

Tibor Pogonyi und Jiyun Cheon

Der Ungar und die Südkoreanerin sind ein Künstlerpaar, die beide ihre eigene künstlerische Welt erfinden. Während Pogonyis archaische Felslandschaften mit verhüllten Gestalten im Trauergestus mal an Géricault oder an Goyas „Desastres“ erinnern und sein intensives Selbstporträt auch ein antikes Bildnis zitieren könnte, sind Cheons barock überladene Innenräume in Pastellfarben („Bedrooms“) von Tieren belebt. Direkter noch und mit spürbarer Bedrohlichkeit aufgeladen wirken Porträts aus der Reihe „Giftgirl“, in denen eine junge Frau mit Geschenkbändern dekoriert oder im Brautkleid mit Augenbinde auf einem Stuhl kauert.

Eine ganz andere Realität erfährt man mit ihren Plastiken. Sie stehen einem lebensgroß gegenüber, sitzen in puppengroßem Format still, aber vergnügt auf einer Schaukel oder turnen einem etwas vor. Die besondere Haptik dieser weißgrauen sanft glänzenden Figuren aus Acrystal-Abguss entsteht durch die langsame Formung aus kleinen Tonmengen, die sich blättrig übereinanderlegen und, obwohl sie nicht wie Haut aussehen, eine große Taktilität entwickeln. Die feinen Gesichter mit entspannten Zügen und dunklen Augen sind nur so weit typisiert, dass sie uns in der Genügsamkeit ihrer individuellen Normalität auf Augenhöhe begegnen können – ob im kleinen oder im großen Format.

Was versprach Andreas Ruess mit der Ausstellung? „Ein Fest für Augen und Geist, Herz und Verstand“. Das ist es wohl geworden.