Essay - Kaiserin Sisi - Facetten einer Kultfigur - Wiener Zeitung Online

2021-11-16 15:37:23 By : Mr. sam zheng

Sisi für immer! Die schillernde Herrscherin von Kakania erlebt derzeit eine Renaissance – doch was fasziniert sie?

Im vergangenen Sommer wurden hinter dem Westbahnhof einige haarsträubende Szenen gedreht. Der Titel des Underground-Films ist Programm: "Murderkino". Darin wird die Kaiserin von Österreich lebendig und treibt ihr Unwesen als unersättliche Vampirin, die sich durch Wien saugt. Der Film soll 2023 fertig sein.

Elisabeths Leben (1837-1898) ist bis heute faszinierend und verspricht finanziellen Gewinn. Unvergessen bleiben die Filme von Ernst Marischka aus den 1950er Jahren mit Romy Schneider und Karlheinz Böhm, die bisher mehr als 500 Millionen Menschen weltweit gesehen haben. „Keine andere Filmproduktion hat das Bild der Kaiserin so nachhaltig geprägt und zur Mythenbildung beigetragen“, sagt Klaus Panholzer, Geschäftsführer der Schönbrunn-Gruppe, die insbesondere im Schloss Schönbrunn Österreichs kaiserliche Vergangenheit präsentiert.

Natürlich darf Sisi nicht fehlen: "Unsere Kaiserin-Elisabeth-Sammlung umfasst rund 1.500 Objekte und bildet die Grundlage für das Sisi-Museum in den Kaiserappartements der Wiener Hofburg." Eine Sonderausstellung ist ein kuk Fixer Besteck, das Sisi ab und zu für ihre Kokain-Shots benutzte.

Der Mythos von Sissi (oder besser gesagt: Sisi, wie es historisch richtig ist) wird derzeit im In- und Ausland immer mehr hinterfragt, und obwohl kein rundes Jubiläum in Sicht ist, gibt es viele Projekte, die den Anspruch erheben, eines zu sein ein frischer Blick auf die Kaiserin von Österreich.

Mit von der Partie ist Bestseller-Autor Thomas „Tom Turbo“ Brezina, der in seinem Kriminalroman „Sisis schöne Leichen“ (Untertitel: „Kriminalität Jahre einer Kaiserin“) dafür sorgt, dass Sisi einen Mordfall aufklärt: „Sie sprach mehrere Sprachen. war gebildet und eindeutig intelligent. Es gibt Aussagen, dass sie ihr Potenzial kaum genutzt hat. In meinem Roman tut sie das. "

Weniger abenteuerlich ist das Sachbuch "Sisis Weg" von Martina Winkelhofer. Der Alltag der Kaiserin wird seziert: "Die vier Lehrerinnen, mit denen sie aufgewachsen ist, hatten eines gemeinsam: Sie waren junge Frauen ohne Lebenserfahrung. Diese Gouvernanten Elisabeth konnten nichts über ihre zukünftigen Aufgaben als Ehefrauen oder Mütter erzählen."

Ab 26. November widmet sich das Ensemble des Volkstheaters mit der Inszenierung "Ach, Sisi" in 99 Szenen dem Habsburger Fräulein Wunder: Puppe und eine Adlige – und der Adel soll aufgehängt werden.“ Verantwortlich für diese Theatercollage ist der deutsche Autor und Theatermann Rainald Grebe, der vor einigen Jahren berühmt wurde, als er eine (letztendlich erfolglose) Klage gegen Toilettengebühren bei Autobahnraststätten.

Netflix präsentiert demnächst die sechsteilige Serie „Die Kaiserin“, die das Leben der jungen Elisabeth zeigt, die „ihren Platz zwischen Tradition und Selbstbestimmung finden muss“, wie Drehbuchautorin Katharina Eyssen erklärt: „Sisi ist eine tolle Frau Figur - ihrer Zeit voraus, ungewöhnlich, geschlechtsflüssig und bisexuell."

Auf Netflix findet man bereits die Dokumentation "Sisi and the Anarchist", die sich mit dem tödlichen Attentat auf dem Genfersee beschäftigt. Am 10. September 1898 wollte die Kaiserin das Schiff von Genf nach Caux an der französischen Grenze bringen. Auf dem Weg zum Pier hat ihr der italienische Anarchist Luigi Lucheni eine Akte ins Herz gesteckt. Als hätte sie ihr Ende schon lange vorausgesehen, schrieb Sisi: "Schweizer, deine Berge sind wunderbar! / Deine Uhren laufen gut. / Aber für uns ist es extrem gefährlich / Deine Killerbrut."

„Elisabeth war in Wien nicht beliebt und war hier kaum zu sehen, daher gab es nicht viel Traurigkeit“, erklärte die Historikerin Brigitte Hamann, die mit ihrer Biografie „Elisabeth – Kaiserin wider Willen“ das romantische Bild gründlich korrigiert hat. "Schriftsteller waren es, die den Mythos begründet haben. Sisis liberale Einstellung ist inzwischen berühmt geworden, ihre Liebe zu den Gedichten von Heinrich Heine und all die süßen Sisi-Geschichten füllten die Zeitungen. Sisi-Fotos kamen massenhaft auf den Markt."

Allerdings gab es nur Bildmaterial, das die junge Kaiserin zeigte, denn sie hatte sich schon früh entschieden: "Wenn die Zeit mich berührt, werde ich mich verschleiern und die Leute werden von mir als die Frau sprechen, die ich einst war." Tatsache ist, dass heute nur sehr wenige Menschen von der Frau sprechen, die sie war. Alle scheinen ihre eigene Sisi gefunden zu haben. Und oft jenseits historischer Fakten.

Auch das deutsche Fernsehen will mit dem Mädchen aus Bayern jetzt eine Quote machen. In diesem Jahr nimmt RTL die neue TV-Serie "Sisi" ins Programm auf, die die 15-jährige Elisabeth von Anfang an beim Masturbieren zeigt. Sie erzählt ihrer Schwester Nele, dass sie sich vorstellt, mit dem Kaiser von Österreich heißen Selfmade-Sex zu haben. Später bekommt Sisi im Bordell bei der Lieblingshure von Franz Joseph (1830-1916) erotische Tipps, damit sie weiß, wie sich der zukünftige Ehemann gerne Sorgen macht. Die Serie wurde bereits nach Italien, Frankreich, Brasilien, Griechenland, den Niederlanden und vielen osteuropäischen Ländern verkauft. Eine zweite Staffel steht fest.

2022 kommt der Film „Corsage“ der österreichischen Regisseurin Marie Kreutzer in die Kinos, der die Kaiserin als Vorbild zeigt, die für ihre Schönheit berühmt ist, aber mit dem Altern nicht zurechtkommt. Sie befürchtet, dass ihre Zeit knapp wird, denn mit vierzig kann sie kein Symbol für Schönheit mehr sein.

Auch "Sisi und ich" kommt 2022 in die Kinos. Frauke Finsterwalders Biopic nähert sich der legendären Figur aus der Sicht der Gräfin Irma, die sich als Hofdame unsterblich in die Kaiserin verliebte.

"Der Tod" und die Kaiserin: Mark Seibert und Annemieke van Dam im Musical "Elisabeth" am Raimund Theater in Wien 2021.

Im Zuge all dieser Neuheiten werden wir im nächsten Sommer wieder dem Musical „Elisabeth“ von 1992 begegnen, das in Österreich seine Weltpremiere hatte und dann in vielen europäischen Ländern sowie in Japan, Südkorea und China Triumphe feierte. Mit mehr als elf Millionen Zuschauern ist es das erfolgreichste deutschsprachige Musical aller Zeiten. Nach 30 Jahren gibt es drei Open-Air-Konzerte von "Elisabeth" in Schönbrunn.

Die Geschichte der Kaiserin interessiert mich besonders, weil ich vor vielen Jahren mit dem "Krone"-Redakteur Hans Dichand über Sisi gesprochen habe. Er war fasziniert von ihrer Biografie und sammelte Erinnerungsstücke. Dichand plante ein internationales Filmprojekt und ließ eigens eine Sisi-Perücke anfertigen, die bei diversen Castings mit spärlich bekleideten Schauspielerinnen und Models in einer Wohnung über einem edlen Italiener in der Innenstadt zum Einsatz kam...

Dichand könnte sich jedenfalls vorstellen, dass ich das Drehbuch für seinen Sisi-Film schreiben würde. Also recherchierte ich, dass Sisi tätowiert war und ihr Frühstück aus Eiern, Gebäck, Aufschnitt und Kaffee bestand. Ihr Haarschopf wurde dann von Burgtheaterfriseurin Franziska Angerer mit einer Mischung aus Cognac und Ei gepflegt. Die hysterisch-narzisstische Adlige nutzte dieses Zeitfenster, um mit dem Philosophiestudenten Konstantinos Christomanos Griechisch zu lernen.

So weit, ist es gut. Aber wie damals in Hollywood üblich, wollte ich dieses Drehbuch nur für ein festes Gehalt und eine Beteiligung am Verkauf des Films schreiben - was Dichand überhaupt nicht gefiel, so dass mein Engagement für das Projekt zu einem schnelles Ende.

Aber seine Herangehensweise war durchaus spannend: „Ich sehe sie als unglückliche Frau und Pazifistin in einer kriegerischen Familie. Die Kaiserin spürte instinktiv, dass die Monarchie zu Ende ging. Immer wieder flüchtete sie vor dem erstarrten Wiener Hof in ihre Traumwelt. "

Immerhin beauftragte Dichand den US-Bestsellerautor Norman Mailer, der das Drehbuch sicher nicht zum Discountpreis lieferte und der auch vom damaligen Bundeskanzler Wolfgang Schüssel ein Österreichisches Ehrenkreuz 1. , es war höchste Zeit, dass jemand mit einer Pfote als Mailer diese Ikone akzeptiert.“ Gedreht wurde der Film allerdings noch nicht.

Während eines Ausflugs in die Sisi-Kapelle in Sievering erzählte mir Norman Mailer hinter verschlossenen Türen, dass er Elisabeth "eine echte Königsschlampe" gesehen habe, die "ihr Luxusleben auf Kosten anderer führte und nie daran dachte, etwas zu arbeiten oder ihren Job als Kaiserin zu machen". . Sie war weder ihrem Mann noch ihren Kindern hilflos, und ihre seltsame Liebe zu den Nationalisten Ungarns hatte große politische Folgen für Franz Joseph. Tatsächlich war sie eine totale Egoistin.“

Daran ändern auch ihre rebellischen Verse gegen die eigene Sippe nichts: "Ihr lieben Völker im weiten Reich / ich bewundere euch heimlich: / Ihr nährt diese verkommene Brut mit eurem Schweiß und Blut / gutmütig." Dabei verbirgt sie jedoch, dass sie selbst Teil des Spiels ist. Ihr egozentrischer Lebensstil verschlingt viele Millionen.

"Franzl!" - "Sisi!" Am Anfang war alles romantisch und verheißungsvoll. Wie im Märchen. In Bad Ischl. Wo sonst? Dort verliebte sich der Kaiser von Österreich am 16. August 1853 in seine 15-jährige Cousine, eine Wittelsbacherin. Bereits drei Tage später, einen Tag nach seinem 23. Geburtstag, wurde die Verlobung gefeiert. Die Hochzeit fand am 24. April 1854 in der Wiener Augustinerkirche statt.

Aber die Braut war eine Enttäuschung für den Herrscher. Erst in der dritten Nacht, so wurde bei Gericht festgehalten, wurde die Ehe vollzogen. Sisi fand den Verkehr zwischen den Geschlechtern offenbar unangenehm und notierte: "Keine Liebe für mich / kein Wein für mich / das eine macht dich krank / das andere macht dich zum Spucken." Trotzdem gebar sie vier Kinder: Sophie Friederike (1855-1857), Gisela (1856-1932), Rudolf (1858-1889) und Marie Valerie (1868-1924).

Elisabeth als junge Mutter mit ihren Kindern Gisela und Rudolf. Lithographie von Josef Kriehuber.

„Nach der Geburt ihres vierten Kindes schloss sie ihren Heiratshafen. Der Kaiser kratzte nachts vergeblich an ihrem Boudoir“, notiert Franz Rumler im „Spiegel“: „Sie widmete ihr Leben fortan ihrer Schönheit schlank, ritt wie ein Hunne, kämpfte wie D'Artagnan, turnte wie Jane Fonda und wusch sich einen ganzen Tag lang die absatzlangen Haare. Sie widmete ihrem Mann sarkastische Texte (sein grauer Kopf erinnerte sie an einen Esel .) '), unterschrieb er Briefe an sie mit 'Deinem einsamen Mann'.

Eine echte Teufelsfrau. Ein Pirat.

Heute gilt sie vielen als eine der ersten Feministinnen. Ihre Beziehung zu ihrem eigenen Körper war jedoch neurotisch und sadomasochistisch. Sie erlaubte sich keine Schwächen. Als sie bei einer Jagd vom Pferd fiel und eine Gehirnerschütterung und eine Ohnmacht erlitt, sagte sie zu ihrem Mann: "Ich mache mir keine Sorgen über so ein kleines Rumpeln."

In ihrem Herzen fühlte sich Elisabeth vom Leben verraten; nur Veilcheneis und Kekse von der Demel Hofzuckerbäckerei trösteten sie. Die Habsburger und ihre strengen Regeln standen im krassen Gegensatz zu den unbeschwerten Jahren mit ihrer vergleichsweise liberalen Familie auf Schloss Possenhofen in Bayern. Sisi sah sich als Opfer und notierte nur wenige Wochen nach der Hochzeit: "Ich bin in einem Kerker aufgewacht / und da sind Fesseln an meiner Hand."

Tout Vienne hat den Mund offen, weil die Kaiserin so dünn, anämisch und untergewichtig ist. Bei einer Körpergröße von 1,72 Metern wiegt es maximal 50 Kilo. Außerdem hat sie schlechte Zähne, hat in der Hofburg ein Fitnessstudio mit Sprossenwand und Ringen aufgebaut - und raucht auch in der Öffentlichkeit Zigaretten. Der Teenager tut alles, um Menschen zu beleidigen. Dies ist wohl einer der Gründe, warum der habsburgische Hausarzt auf der fernen portugiesischen Atlantikinsel Madeira eine Kur verschrieben hat.

„Auf der Insel lebt sie mit ihrem Gefolge in einer gemieteten Villa am Meer, liest Bücher, spielt Mandoline und ‚Schwarzer Peter‘ mit den Hofdamen, und die Wiener staunen, dass die Kaiserin ihren Mann verlassen hat Kinder und ihr Land seit Monaten Aber je länger sie vom Hof ​​und ihrem Mann getrennt ist, desto besser geht es ihr“, schreibt Birgit Lahann im Magazin „GEO Epoche“. Nach zwei weiteren Kuren auf der griechischen Insel Korfu und im bayerischen Bad Kissingen kehrte sie im August 1862 im Alter von fast 25 Jahren nach Wien zurück und ist inzwischen „eine tatkräftige, zielstrebige, selbstbewusste Frau“ geworden.

Später nutzte sie auch jede Gelegenheit zu Reisen und besuchte Dover, Tanger und Algier, Florenz, Pompeji und Capri, Korfu, Málaga und Granada, Korsika, Triest - und schließlich Genf.

Ein Mann hat Bedürfnisse. Auch wenn er Kaiser ist. Wenn Sisi nicht in Wien ist, sucht der Monarch, von seiner Frau verachtet, Trost bei den gemeinen Frauen. Er bevorzugt, so wird geflüstert, pummelige Mädchen. Und er neigt zum Quickie. Überliefert ist die Erfahrung einer ungarischen Schauspielerin, die erstaunt ist, dass Franz Joseph auf eine schnelle Ausführung des Tête-à-Tête drängt und nicht einmal sein Schwert ablegt.

Anna Nahowski im Alter von etwa 22 Jahren.

Mehr als zehn Jahre hielt dagegen die "schlampige Beziehung" mit Anna Nahowski, einer blonden, rundlichen Wienerin. Sie war 15 Jahre alt und bereits eine Frau, als er sie beim Gehen traf, und schließlich besaß sie eine Villa mit einer Geheimtür für kaiserliche Besuche im Morgengrauen. Er liebte es, sie einfach „mit Gewalt“ aufs Bett zu werfen und mitzunehmen. Danach hatte Anna Kaffee mit Milch, Croissants und die unverzichtbare Virginia-Zigarre für ihn parat. Am Ende ihrer Kaiserzeit erhielt sie Schweigegeld: 200.000 Gulden (rund eine Million Euro nach heutigem Wert).

Woher wissen wir? Anna führte ein akribisches Tagebuch, und der Böhlau Verlag fand es nach über 100 Jahren und veröffentlichte es 1986 unter dem Titel „Anna Nahowski und Kaiser Franz Joseph“.

Das Ende der bequemen Liaison verdankt Franz Joseph seiner Sisi. Sie sieht die junge Schauspielerin Katharina Schratt als geeignete Nachfolgerin für sich und koppelt ihren Mann. Auch er verliebt sich sofort in das Mädchen, schreibt ihr: "Bitte empfange mich im Bett", macht teure Geschenke und zeigt sich sogar seinen Untertanen mit dem Schratt. Anna ist empört und offenbart ihren Frust im Tagebuch: "Dass der Mann mit einer Schauspielerin öffentlich spazieren geht!"

Als Franz Joseph am 10. September 1898 von der Ermordung in Genf erfährt, ist er schockiert und sagt zu Generalmajor Eduard von Paar, der ihm die Nachricht von Sisis Tod überbracht hat: "Sie wissen gar nicht, wie sehr ich die Kaiserin!"

Georg Biron, geboren 1958, lebt als Autor, Reporter, Regisseur und Schauspieler in Wien.